In Berlin beginnt am 13. September für tausende Erstklässler die Schulzeit. Im vergangenen Jahr waren es rund 37.000 Kinder – in dieser Größenordnung dürfte es sich auch in diesem Jahr bewegen. Genaue Zahlen werden erst noch erwartet.
Gar keine Zahlen hat der Berliner Senat hingegen dazu, wie viele der einzuschulenden Kinder im Bürgergeld aufwachsen. Rechnet man aber den Anteil aller Minderjährigen im Bürgergeld in Berlin auf die Schulanfänger herunter, kommt man bei rund 8.500 Kindern heraus. Diese seien vom ersten Tag an abgehängt, kritisiert der Verein Sanktionsfrei, der sich für eine menschenwürdige Grundsicherung einsetzt. BERLIN LIVE hat dazu mit Geschäftsführerin Helena Steinhaus gesprochen.
Einschulung in Berlin: So hoch sind die Kosten
„Wenn man von Anfang an kaum die Möglichkeit hat, das Schulkind vernünftig auszustatten, dann macht das natürlich etwas mit dem Lernerfolg“, sagte Steinhaus. Auch deshalb hat der Verein Sanktionsfrei in den Sommerferien Geld gesammelt, um den eigenen Kindern einen Schulbonus auszuzahlen. Ein 150-Euro-Bonus für 419 Kinder kam dabei zusammen.
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Dass der Verein sich zum Sammeln gezwungen sah, liegt an den Kosten einer Einschulung, die der Staat für arme Familien im Bürgergeld nicht ausreichend abfedert. Je nachdem, wen man fragt, kostet eine normale Einschulung ohne den ganz großen Schnickschnack rund 300 bis 600 Euro für Ranzen, Trinkflasche, Schultüte & Co..
Der Verein selbst hat mit 250 Euro noch einmal knapper kalkuliert, aber auch dafür reicht die zu beantragende staatliche Starthilfe nicht aus. 130 Euro gibt es im ersten Schulhalbjahr, 65 im zweiten. Das sei auf der einen Seite zu wenig und auf der anderen eine „Standardpauschale“, die in jedem Jahr für Schulkosten abgerufen werden könne, kritisiert Steinhaus. „Für eine Einschulung gibt es kein Extrageld.“
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Das führe zu einer Situation, in der sich Eltern das Geld für die Einschulung vom Mund absparen würden. Andere Möglichkeiten gebe es nicht, denn das Bürgergeld sei „Armut per Gesetz“, so Steinhaus. Das zeigt auch eine von ihrem Verein in Auftrag gegebene Studie. 35 Prozent der Befragten gaben damals an, auf Essen zu verzichten, um andere notwendige Dinge zu finanzieren.
Steinhaus fordert höhere Bürgergeldsätze auch für Kinder
Aus Steinhaus‘ Sicht, sei es notwendig, die Bürgergeld-Regelsätze zu erhöhen. Bei der Höhe verweist sie auf den Paritätischen Gesamtverband, der einen Regelsatz von 813 Euro für eine alleinlebende Person als „armutsfestes Bürgergeld“ bezeichnet. Ginge es nach Steinhaus würde auch nicht mehr zwischen Erwachsenen und Kindern unterschieden. „Kinder brauchen nicht weniger Geld, weil sie kleiner sind“, sagt sie. Sie würden weder weniger essen brauchen, noch weniger Kleidung. „Das stimmt vielleicht bei Einjährigen, aber nicht bei Kindern, die alle halbe Jahr neue Schuhe brauchen.“

Aktuell bekommen sechsjährige Kinder einen Regelsatz von 390 Euro im Monat, davon sind pro Tag rund 4,50 Euro für Ernährung vorgesehen. „So können Kinder nicht vernünftig leben“, sagt Steinhaus. Dafür müsse man nur einmal einen Blick auf die stark gestiegenen Preise für Lebensmittel werfen. Oder auf die bereits oben zitierte Studie. Mehr als die Hälfte der Befragten gibt dort an, auf Essen zu verzichten, damit die Kinder genug haben.
Zur Person Helena Steinhaus
Helena Steinhaus ist Sozialaktivistin und Autorin. Sie ist eine der bekanntesten Kritikerinnen von Hartz IV und Bürgergeld in Deutschland. Im Jahr 2015 war sie eine der Mitgründerinnen des Vereins Sanktionsfrei. Dort ist sie als Geschäftsführerin tätig. Vor zwei Jahren erschien ihr Buch „Es braucht nicht viel“.
Bildungs- und Teilhabepaket sei „Bürkokratiemonster“
Das seit 2011 geltende Bildungs- und Teilhabepaket ist laut Steinhaus keine große Hilfe, sondern ein „Bürokratiemonster, das kaum abgerufen wird“ und für Scham bei den Kindern sorge. Die seien es nämlich, die die Formulare in der Schule zum Lehrer bringen müssten oder immer wieder angesprochen werden, wenn Beiträge zur Klassenkasse oder die Klassenreise fehlen würden. Kosten für die Klassenkasse würden durch das Paket gar nicht erstattet, Klassenreisen oft erst Monate später.
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Diese Realitäten werden Helena Steinhaus und ihrem Verein immer wieder geschildert – und sie kommen auch in diesem Jahr auf rund 8.500 Kinder in Berlin zu. Warum sich nichts ändert? „Es gibt keine politischen Mehrheiten gegen Armut und auch keinen gesellschaftlichen Druck“, sagt Steinhaus. Stattdessen werde Stimmung gegen Bürgergeld und Armut gemacht und alles auf die individuelle Ebene abgeschoben. „Arme Menschen haben keine Lobby.“
Die Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie verweist gegenüber BERLIN LIVE auf zahlreiche kostenfreien Angebote des Landes Berlin wie etwa in Sachen Schülerbeförderung oder Mittagessen. Die finanzielle Diskrepanz rund um die Einschulung löst das aber wohl nicht.


