Veröffentlicht inBrennpunkt

Berlin: Offizielle Zahlen sexualisierter Gewalt steigen – warum das nicht nur schlecht ist

In Berlin zeigen immer mehr Frauen sexualisierte Gewalt, die sie erlebt haben, bei der Polizei an. Der öffentliche Diskurs hat sich verändert.

Protest am internationalen Frauentag in Berlin 2017.
u00a9 imago images/Christian Ditsch

Was ist Catcalling?

“Na Süße, heute schon was vor?” - fast jede Frau hat Sätze dieser Art schon mal gehört. Catcalls sind übergriffige, sexuell aufgeladene Kommentare, die – in der Regel – Frauen von Männern hinterher gerufen bekommen.

Jede Frau in Berlin und überall auf der Welt ist der ständigen Gefahr ausgesetzt, sexuell belästigt zu werden. Es kann immer und überall passieren. Ob auf der Arbeit, an der Uni, auf der Straße oder im Privaten. Die sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen ist ein grundlegendes Problem unserer Gesellschaft.

Kürzlich veröffentlichte Zahlen aus dem Jahr 2022 lassen Schreckliches vermuten. Denn seit Jahren steigen die Zahlen sexualisierter Gewalt an Frauen in Berlin. Insgesamt waren das im Vorjahr 3.862 Fälle von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen. Das sind im Schnitt zehn sexuelle Übergriffe am Tag. Bei 929 angezeigten Vergewaltigungen kommt man auf fast drei Vergewaltigungen pro Tag.

Berlin: Steigende Zahlen müssen nicht unbedingt mehr Gewalt bedeuten

Warum in diesen Zahlen, so schrecklich sie sind, auch etwas Positives steckt, erklärt Friedericke Strack im Gespräch mit BERLIN LIVE. Sie ist die Projektleiterin von LARA, der Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt an Frauen* in Berlin. Für sie belegen die Zahlen, dass sich immer mehr Menschen trauen, sexuelle Übergriffe öffentlich zur Sprache zu bringen. Denn das seien ja die offiziellen Zahlen, also die Fälle, die bei der Polizei zur Anzeige gebracht wurden.


+++BVG: Heimlich gefilmt in den Öffis – DAS können Betroffene tun+++


Die Zahlen müssen also nicht gleich bedeuten, dass es generell zu mehr Gewalt an Frauen in Berlin kommt. Denn man kennt die wahre Zahl sexualisierter Übergriffe an Frauen nicht, erklärt Strack. In den offiziellen Zahlen sei „das ganze Dunkelfeld ja nicht mit dabei.“

Es gibt zwei Möglichkeiten: Die Zahl der Übergriffe ist gleich geblieben oder gar weniger geworden, aber mehr Taten wurden zur Anzeige gebracht. Die andere Möglichkeit wäre, dass sich sexualisierte Gewalt an Frauen mehrt und mit ihr die Zahl an angezeigten Taten. Welcher der zwei Varianten zutrifft und wie viele Frauen in Berlin wirklich täglich sexualisierte Gewalt erleben, kann leider nicht mit Sicherheit gesagt werden.

Sexualisierte Gewalt bleibt, aber der Umgang verändert sich

LARA berät und unterstützt seit 1995 Frauen in Berlin, die sexuelle Gewalt erlebt haben. Zwar gibt es nach fast 30 Jahren immer noch sehr viele Frauen, die die Hilfsangebote der Fachstelle in Anspruch nehmen, doch die Gesellschaft und der Umgang mit dem Thema haben sich verändert.

Sexualisierte Gewalt ist präsenter. Man wisse die ganze Zeit von irgendwelchen Fällen. Ob aus der Welt des Sports oder aus der des Films. „Und das war früher nicht so. Ich glaube ganz viel hat auch damit zu tun, dass es Kampagnen gibt und dass das Thema mehr in den Medien ist. Ich glaube, das macht ganz viel aus.“


Mehr News:

Dass die steigenden Zahlen sexueller Gewalt diesen positiven Aspekt mit sich bringen, nämlich dass die Taten zunehmend angezeigt werden, schmälert in keinster Weise die Schrecklichkeit solcher Gewalt gegenüber Frauen. Jede Frau, die hinter solch einer Zahl steht, ist eine zu viel!